Vielleicht habt ihr euch auch schon oft gefragt, wieso es scheinbar immer schwieriger wird, Beziehungen über eine lange Zeit zu erhalten. In diesem Teil der Veröffentlichung geht es um die Klärung genau dieser Frage!
Warum ist es so schwierig geworden, Beziehungen zu erhalten?
Eine nachvollziehbare Antwort könnte lauten:
Wir brauchen keine Gemeinschaft mehr!
Sechs Faktoren untermauern diese Vermutung exemplarisch:
- Wir führen ein autarkes Leben, in dem wir niemanden mehr brauchen
- Wir haben keine Langeweile mehr
- Wir stellen unsere gesellschaftlichen Normen in Frage
- Wir haben zu viel Auswahl
- Wir haben keine Geduld mehr
- Wir brauchen immer einen Schuldigen
Was genau ist damit gemeint?
Wir führen ein autarkes Leben, in dem wir niemanden mehr brauchen
Die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte ermöglicht einem Großteil unserer Gesellschaft ein glücklicherweise sorgloses Leben. Der wirtschaftliche Aufschwung erfasste nach Beendigung des zweiten Weltkrieges unsere Region und stabilisierte es. Die eingeführten Sozialsysteme funktionieren bis heute, und die Menschen brauchen seitdem niemanden mehr in ihrem direkten Umfeld zum täglichen Überleben: Wir haben ein Dach über dem Kopf, und wenn der Kühlschrank leer ist, finden wir immer eine „Futter-Stelle“ (und sei es die Tankstelle, die 24 Stunden geöffent ist), an der wir uns mit Nahrungsmitteln versorgen können. In größter Not bekommen wir Hilfe von staatlicher Seite. Haben wir einen Unfall, sind wir versichert, sind wir krank, dann gehen wir zum Arzt und zeigen unsere Versichertenkarte vor. Wenn es gut für uns läuft, dann versorgt uns die Rente finanziell nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben. Ein breites Spektrum an Versicherungen, die abgeschlossen werden können, unterstützen in vielfältigen Lebenssituationen: Gibt es Streitigkeiten, sorgen Rechtschutzversicherungen bei gerichtlichen Auseinandersetzungen für einen risikoarmen Einsatz von Kosten! Entsteht ein materieller Schaden an, regulieren Haftpflichtversicherungsfachleute den Schaden für uns. Wen brauchen wir in unserer Gesellschaft denn noch, um den größten Teil unserer Grundbedürfnisse zu erfüllen: N I E M A N D E N!
Diese Tatsache ermöglicht uns ein freies Leben! Frei von Konventionen, frei von Verpflichtungen, frei von Abhängigkeiten.
Wir haben keine Langeweile mehr
In den 90er Jahren begann mit der Erfindung des PCs das Medienzeitalter, welches einen Wandel in der Gesellschaft nach sich zog. Nach fünfundzwanzig weiteren Jahren ermöglicht uns das Smartphone ständig vernetzt und damit immer erreichbar und unterhalten zu sein. Dadurch, dass Smartphones ständige Begleiter geworden sind, ist für Ablenkung rund um die Uhr gesorgt. Wir brauchen keinen „wirklichen“ Menschen von Angesicht zu Angesicht mehr, um uns zu unterhalten (im Sinne von surfen im Internet, Fernsehen gucken). Diese Freiheiten haben natürlich großen Einfluss auf unser Verhalten und somit auf die Entwicklung unserer Gesellschaft.
Wir stellen die unsere gesellschaftlichen Normen in Frage
Ein Teil der Gesellschaft fand es in den 70er Jahren an der Zeit, sich von dem engen gesellschaftlichen Regelkorsett zu lösen. Es ging „um die Befriedigung individueller Bedürfnisse gegenüber tradierten gesellschaftlichen Normen“. Einige dieser Jugendlichen haben diesen Aufruf nach neuer Freiheit damals falsch verstanden und in ihrer „Korsett-Befreiungs-Aktion“ die Bedürfnisse anderer Menschen nicht ausreichend beachtet. Dieses Lebensgefühl wurde an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Daraus entwickelten sich über die letzten Jahrzehnte Menschen, die sehr großen Wert auf ihre Individualbedürfnisse legen. Diese kollidieren oftmals mit denen anderer, was ein Zusammenleben sehr schwierig machen kann. Ein Beispiel: Ein junger Mensch hat abends das Bedürfnis bei geöffnetem Fenster laute Musik in seinem Zimmer zu hören. In der Etage darüber versucht ein Kleinkind einzuschlafen und kommt durch die Musik nicht zur Ruhe.
Wir haben zu viel Auswahl
Wenn wir heute etwas kaufen wollen, stehen wir vor einer unendlichen Auswahl. Dabei ist es unerheblich, ob wir in einem Geschäft sind oder das Internet nutzen. Auch der Zeitpunkt ist unerheblich, denn im Internet können rund um die Uhr Einkäufe getätigt werden. Manche Menschen kaufen am Ende nichts, wenn die Auswahl zu groß ist. Dieses Verhalten ist erforscht worden und nennt sich in Fachkreisen:
Das „Marmeladen-Paradoxon“
oder „paradox of choice“ (Quelle 1.7). Es bezieht sich auf eine Studie von Iyengar & Lepper aus dem Jahr 2000 in Amerika. Das Institut hat dieses Phänomen untersucht, indem sie in einem Delikatessengeschäft in Kalifornien Probiertische aufbauten, an denen sich die Kunden*Innen kleine Toastbrote nehmen und verschiedene Marmeladensorten probieren konnten. In einer Versuchsanordnung präsentierten sie den vorbeigehenden Kunden sechs verschiedene Sorten zum Probieren, in einer anderen vierundzwanzig. Von den Kunden, die am Tisch mit der großen Auswahl vorbeischlenderten, probierten sechzig Prozent mindestens eine Sorte, aber nur zwei Prozent der Passanten kaufte ein Glas. Die kleine Auswahl lockte zwar nur vierzig Prozent der Vorbeigehenden zum Probieren an, doch am Ende kauften zwölf Prozent der Kundinnen auch ein Glas Marmelade. Es wurde gezeigt, dass eine besonders große Auswahl von Marmeladen die Kauflust der Menschen reduziert. Gibt es zu viele Optionen, verwischen die Unterschiede zwischen den Angeboten und die Kunden verzichten aus Furcht vor Reue bei einer Fehlentscheidung lieber ganz auf den Kauf.
Das Thema „zu viel Auswahl“ bezieht sich nicht nur auf die Dinge des täglichen Lebens, sondern auch auf unsere Partnerwahl. Frei nach dem Motto: „Vielleicht gibt es noch eine/n Passenderen“ sind sich viele Menschen nicht mehr sicher in ihrer Partnerwahl. Auf Singlebörsen im Internet können sie auf einen unendlichen „Pool“ von potentiellen Kandidaten zugreifen. Kein Wunder, dass Menschen sich nicht mehr entscheiden können, denn es könnte ja noch ein besseres „Angebot“ kommen.
Wir haben keine Geduld mehr
Diese menschliche Eigenschaft des Wartens kann auch mit „Ausdauer“ bezeichnet werden. Dieses Können geht immer mehr verloren und führt im Umkehrschluss dazu, dass wir keine Geduld mehr haben. Diese fehlende Eigenschaft wirkt sich zwangsläufig auch auf das Zusammenleben einer Gruppe oder mit dem Partner aus. Funktioniert etwas nicht auf Anhieb, fehlt uns die Ausdauer, Dingen Zeit zu geben.
Wir brauchen immer einen Schuldigen
Menschen, die in den 50er bis 70er Jahren in unserem Kulturbereich groß geworden sind, scheinen nach heutigen Sicherheitsstandards ihr Leben täglich in Gefahr gebracht zu haben. Es gab für gesundheitsschädigende oder sogar giftige Flüssigkeiten keine Sicherheitsverschlüsse. Trank man sie dennoch, konnte es einem das Leben kosten. Kinder erstickten auf Müllplätzen in alten Kühlschränken, in denen sie sich verstecken wollten. Damals waren die Geräte von innen nicht zu öffnen. Auf Fahrrädern wurden keine Helme getragen und in Autos saßen sie ohne Sicherheitsgurte. Kindersitze waren noch nicht erfunden worden.
Passierte etwas, war damals niemand schuld, außer man selbst oder es war eben Schicksal. Niemandem kam die Idee Gerichtsverfahren gegen Hersteller oder beteiligte Mitmenschen anzustreben.
Die Fähigkeit, auch schuld sein zu können und nicht immer in anderen den Übeltäter zu sehen, trägt wesentlich zur Beziehungs(un)fähigkeit bei.
In der nächsten Kapitel 1.3 geht es um die Beschreibung der letzten Generationen, die in diesem Umfeld erwachsen geworden sind. Hier geht es weiter.