Kapitel 2.4: Wo stehen wir heute?

Bei der Betrachtung der oben genannten Zusammenhänge liegt eine Erkenntnis sehr nahe: Wir haben heranwachsende Generationen, die einen erheblichen Teil unserer Gesellschaft ausmachen, selbst erzogen, indem wir sie durch falsch interpretierte Elternliebe

  • auf Händen getragen haben und
  • ihnen alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt haben.

Die herausforderndste Erkenntnis ist, dass wir ihnen damit keinen Gefallen getan haben, denn wir haben gesellschaftlich schwer kompatible Menschen hervorgebracht.  Diese Menschengruppe könnte einen Namen bekommen:

Die EGOZENTRISTEN,

die ich wie folgt definieren möchte: Egozentristen sind Menschen, die zum Egoismus erzogen worden und nichts dazu können, dass sie ICH-bezogen sind.

Die erste Generation der Egozentristen entwickelte sich in der Elterngeneration der 68er- Bewegung, die ohnehin die Loslösung der gesellschaftlichen Konventionen verfolgte und sich selbst verwirklichen wollten. Sicher habt ihr schon mal den Spruch gehört: „Meine Kinder sollen es mal besser haben, als ich es zu meiner Kindheit hatte“. Frei nach diesem Motto sollte eine freie Entfaltung der Persönlichkeit möglich sein und so steht es sogar in unserem Grundgesetz: Artikel 1, Absatz 1 (Quelle 2.8): „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit…“!

Allerdings ist dieser Paragraph an dieser Stelle noch nicht zu Ende, denn der Text lautet weiter: „…soweit er nicht die Rechte anderer verletzt…“. Auch wenn im Grundgesetz die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz meint, so ist er auch in anderen Bereichen anwendbar:

Nehmen wir das Beispiel von Alex aus Kapitel 2.2, der plötzlich nicht mehr zu Fußball wollte. Durch sein plötzliches Ausscheiden aus dem Team lässt er eine Mannschaft im Stich, die nun keinen Torwart mehr hat.

Nehmen wir das Beispiel von Sandras und Kais Kindern im Restaurant aus Kapitel 2.2: Gastwirte mögen es nicht, wenn die kleinen Kinder zum Beispiel im Gastraum herumtoben oder mit den Straßenschuhen auf den Sitzbänken herumkrabbeln. Zum einen werden die anwesenden anderen Gäste gestört und nachkommende Gäste verschmutzen sich eventuell die Garderobe.

Inzwischen haben wir die dritte Generation der Egozentristen und deren Eltern haben Namen bekommen: Die „Helikopter-Eltern“ (Quelle 2.11), die neuerdings auch „Rasenmäher-Eltern“ (Quelle 2.12) genannt werden.

Der Focus veröffentlichte zu dem Thema am 05.01.2019 einen Artikel mit der Überschrift: „Achtung, Rasenmäher-Eltern: Experten warnen vor den schlimmen Folgen für Kinder“ (Quelle 2.13)

Natürlich lieben wir unsere Kinder und wollen nur das Beste für sie. Wir tun ihnen keinen Gefallen, in denen wir ihnen alle Steine aus dem Weg räumen und ihnen nicht die Möglichkeit geben, sich je nach Kontext selber auszuprobieren oder ihnen konkrete Handlungsanweisungen im Hintergrund zu geben. Es ist klar, dass es für Eltern schwer ist zu sehen, wenn sich ihre Kinder verletzen und scheitern. Allerdings gehört auch Verletzen und Scheitern zu einem Entwicklungsprozess, der Menschen am Ende mit der richtigen Unterstützung zu starken Persönlichkeiten macht. Wir Eltern haben die Verantwortung und können dieses Scheitern begleiten. Es fängt im Kleinen an, wenn das Kind nicht immer den Willen bekommt. Kinder können schon in der Grundschule zur Eigenverantwortung ermutigt werden, wenn wir ihnen nicht die Sachen hinterhertragen, so wie es Amelies Mutter un Kapitel 2.2 stets machte. 

Je mehr wir über diese Menschengruppe lesen und schreiben, desto klarer wird, dass einige dieser jungen Menschen von heute oft nicht glücklich in ihrer Situation sind. Sie sind stets auf der Suche und können nicht ankommen, wenn ihnen zwischenmenschliche Kompetenzen fehlen, die ihnen niemand vermittelt oder vorgelebt hat. Zum Egozentrismus erzogene Menschen haben oftmals Schwierigkeiten Beziehungen zu pflegen, wenn ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Dies wirkt sich besonders auch auf die Lebenspartnerschaften aus. Immer häufiger wird in den Medien über „Mingles“ berichtet (Quelle 09). Nicola Erdmann (Quelle 2.10) beschreibt das Lebensgefühl der Mingles in einem Artikel in der Tageszeitung „Die Welt“  als einen Drahtseilakt auf den eigenen Gefühlen, bei dem die betroffene Person bei einer neuen Bekanntschaft nicht weiß, ob sie nun eine länger andauernde intime Beziehung hat oder es sich lediglich um eine Affäre handelt.

Den Eltern sollte verdeutlicht werden, dass sie selber schon zum Egozentristen erzogen wurden und auch sie können nichts dazu, wenn sie selbst Erlerntes an ihre Kinder weitergeben. Diese wichtige Erkenntnis hilft vielleicht auch, unser Handeln zukünftig zu überdenken.

Im nächsten Kapitel geht es um das spannende Thema „Beziehungen und Geschenke“. Mehr dazu findet ihr hier.

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