„Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft“
Vielleicht habt ihr von diesem Spruch schon einmal gehört. Die gerechtfertigte Frage ist, was mit „klein“ gemeint ist :-).
Das Thema „Geschenke“ ist ebenfalls kulturell geprägt und basiert in seinem Ursprung auf einem Gabentausch, der eine nonverbale Botschaft hatte. Die immer wieder kehrende Frage lautet bis in die Gegenwart, ob Geschenke durch ein solches erwidert werden müssen.
Ein Blick zum Ursprung der Geschenk-Idee in Bezug auf Beziehungen:
Diesem Themengebiet widmen sich zahlreiche Forschungsprojekte der Soziologie und sie beginnen, wie immer, wenn es um Menschen und deren Entwicklung geht, in der Geschichte:
Das „Kula-Ritual“ (Quelle 2.14) zum Beispiel beschreibt ein rituelles Gabentauschsystem bei den Bewohnern der pazifischen Trobiand-Inseln, die mit einer verzögerten Gegenseitigkeit verbunden sind. Dabei haben die Geschenke keinen unmittelbaren Nutzen für den Empfänger und dienen nur der Stärkung der sozialen Bande der einzelnen, herrschaftsfrei miteinander verbundenen Stämme. Diese Inseln sind fast kreisförmig angeordnet. Zwischen den Inseln werden im Uhrzeigersinn Soulava (Halsketten aus kleinen, roten Muschelplättchen) ausgetauscht. In die andere Richtung, also gegen den Uhrzeigersinn, werden Mwali getauscht (Armbänder aus weißem Muschelring). Diese Geschenke haben heiligen Charakter mit einer jeweils eigenen, mündlich überlieferten Geschichte. Nach einiger Zeit werden die Gaben weiter getauscht.
Aber auch auf anderen Kontinenten dieser Erde wurden Beziehungen schon immer gepflegt:
Das „Hxaro-Ritual“ (Quelle 2.15) bezeichnet das gegenseitige Tauschsystem der !Kung-San der Kalahari. Durch Geschenke, regelmäßige Besuche und Geschichtenerzählen werden die sozialen Beziehungen der oftmals mehrere hundert Kilometer voneinander entfernten Stämme aufrechterhalten. Die Anthropologin Pauline Wiessner untersuchte dieses System eingehend. Sie sieht die Hauptaufgabe des Systems darin, die !Kung-San in Zeiten des Nahrungsmangels (durch Trockenheit oder Überflutung) abzusichern und vergleicht es mit dem über viele Kontinente verbreitete Versicherungswesen.
Der Ethnologe Marcel Mauss (Quelle 2.16) hat dem Thema ein ganzes Buch gewidmet, welches 1968 im Deutschen unter dem Titel „Die Gabe“ veröffentlicht wurde. Es gilt bis heute als einer der zentralen, kulturvergleichenden Texte der sozialen Beziehungsforschung und als ethnologischer Buchklassiker. Er versuchte soziale Phänomene in ihrer Totalität zu sehen und zu verstehen und arbeitete empirisch (=methodische Sammlung von Daten). Im Mittelpunkt seiner Forschung stand die Frage, ob eine „Gabe“ zwangsläufig erwidert werden muss, weil in dem Moment der Annahme daraus eine Verpflichtung entsteht. Bis heute konnte diese Frage nicht zufriedenstellend geklärt werden.
Ein Blick zur Gegenwart der Geschenk-Idee in Bezug auf Beziehungen:
Wo stehen wir heute, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir in unserem hiesigen Sozialstaat mit individueller Dauerunterhaltungs- und Selbstverwirklichungsoption auf niemanden mehr angewiesen sind? Welchen Sinn haben Geschenke noch, wenn sie einst auf der Idee der Beziehungspflege beruhte, die heute nicht mehr den elementaren Stellenwert in der Gesellschaft hat?
Über das Internet können wir uns inzwischen fast alles nach Hause schicken lassen ohne dasselbe zu verlassen. Auch Geschenke lassen sich gut darüber finden. Kann sich der Schenkende nicht entscheiden, wird oftmals ein Gutschein erworben. Diese Entscheidung hat einen klaren Mehrfachnutzen:
- Der Schenkende kann mit einem falschen Geschenk nicht enttäuschen (im Sinne von: Es gefällt dem Beschenkten nicht) .
- Es wird kein Umtausch nötig.
Dieses Thema wird regelmäßig (meist zu Weihnachten) in den Printmedien aufgegriffen. „83 Prozent der Befragten stimmen der Aussage: ‚Ich informiere mich online und kaufe online‘, zu“. (Quelle 2.17)
Zugegebenermaßen ist ein Gutschein eine sichere Sache, besonders in einer Zeit, in der wir uns alle Wünsche zeitnah selbst erfüllen können und wir alles haben. Manchmal haben wir sogar von allem zu viel und ein zusätzlicher Wasserkrug ein Regal konnte genau dieses zum Einsturz bringen.
Welchen Sinn haben Geschenke? Wie wertvoll sollen oder müssen sie sein? Wie bemessen wir den Wert? Ist ein selbst gebackener Kuchen mehr wert als ein 50 Euro Gutschein?
Wir sollten wieder „zurück zu den Wurzeln“ kommen und „wirkliche“ (im Sinne von: Kein Gutsschein!) Geschenke machen, zu denen wir uns viele Gedanken gemacht haben. Dabei sollten die Sachen nach dem Geschmack des zu Beschenkten ausgesucht werden und nicht nach dem eigenen! Ein Rückgabe- oder Umtauschrecht ist in den heutigen Zeiten nie ein Problem, wenn es gar nicht gefällt. Am besten wird es gleich bei der Übergabe mit dazu gesagt.
Nehmen wir alle bisher beschriebenen Faktoren zusammen, kann nur ein Schluss zugelassen werden: Wir müssen uns auf unsere menschlichen Wurzeln besinnen, innehalten und nachdenken, was „das Menschsein in einer Gesellschaft“ ausmacht. Letztendlich beruht ein Teil unserer Lebensqualität auf Beziehungen.
Auch wenn ein Teil unserer Gesellschaft zur Zeit den Eindruck haben zu scheint, dass wir keinen anderen brauchen, so sind wir Menschen eigentlich für die Gemeinschaft gemacht. Zu einer Gemeinschaft gehören auch Geschenke zu verschiedenen Anlässen.
Im 3. Kapitel gehen wir auf eine interessante Reise zu der Erkenntnis, was Beziehungen eigentlich sind, worauf sie basieren und wie wir sie erhalten können. Das Kapitel 3.1 findet ihr hier.