Schneewitchen 4.0 – Die Egozentristin ist im modernen Märchen angekommen

Wie wäre es einmal wieder ein Märchen anzusehen? Am besten in einer modernisierten Ausgabe.

Die meisten aller Kinder wachsen mit Märchen auf. Märchen sind phantastisch, mythisch, spannend und am Ende sind sie auch lehrreich. Oft tritt „Gut“ gegen „Böse“ an, und zum Glück gewinnt meist das Gute.

Gerade in diesen Zeiten sind Märchen eine willkommene Abwechslung, um einmal aus dem stressigen Alltag zu entfliehen. Es sind Filme, die meist für die ganze Familie geeignet sind.

Die Neuverfilmungen werden sinnvoller Weise an die gesellschaftliche Entwicklung angepasst, denn wer will schon noch die alten Rollenbilder aus dem vorherigen Jahrhundert, in dem zum Beispiel die Frau an den Herd gehört.

Manchmal schießen die Drehbuchautoren allerdings über das Ziel hinaus. Wobei: Sie können vielleicht gar nichts dazu, sind sie vielleicht selber bereits zum „Egozentristen“ erzogen worden (hier findet ihr mehr zu dem „Egozentristen“).

So wird die Hauptfigur in der Neuverfilmung „Schneewitchen und der Zauber der sieben Zwerge“ (den Link findet ihr hier) aus dem Jahr 2018 natürlich in moderner Weise dargestellt.  Dies wird besonders deutlich, wenn der Film mit der Schneewitchen-Version (weitere Infos siehe hier) aus dem Jahre 1961 verglichen wird.

Während 1961 Schneewitchen in der Küche hilft, schwingt sie sich 2018 athletisch aus ihrem Turmgefängnis und interessiert sich für die Arbeit des Hofschmiedes.

Während Schneewitchen 1961 bei den Zwergen den Haushalt übernimmt und ihnen gehorcht, nimmt sie 2018 dem Anführer der sieben Zwerge die Führungsposition ab.

Während Schneewitchen 1961 lange Kleider trägt, hat sie 2018 die Hosen an (auch im übertragenen Sinn J).

In der Version 1961 hält der Prinz um die Hand von Schneewitchen bei der Königin an. 2018 macht sie dem Prinzen den Antrag selber.

2018 erklärt sie der Königin den Kampf, anstatt sich, wie 1961 als Opfer im Wald bei den sieben Zwergen zu verstecken.

2018 schleicht sie sich gemeinsam mit dem Prinzen an den Hof, um die böse Königin zu entmachten.

Während der Prinz 2018 zur Randfigur im Kampf gegen die Königin wird, schwingt sich Schneewitchen mit einem Seil wie Tarzan in den Thronsaal und entreißt der Königin eigens das „Zepter“, im modernen Märchen eine Zauberperücke.

Am Ende entmachtet Schneewitchen die Königin und heiratet, wie auch in der ursprünglichen Version, den Prinzen, um gemeinsam mit ihm die Regentschaft zu übernehmen.

Alles in Ordnung, denn die Zeiten ändern sich.

Nur eines fand ich sehr störend und würde mich freuen, wenn sich Drehbuchautoren hier etwas sensibler verhalten:

Der gesamte Hof ist 2018 bei der Trauung anwesend. Schneewitchen gibt dem Zwerg die Führung seiner Gruppe zurück und verkündet:

„Ich bin Schneewitchen. Ich möchte Kinder kriegen, sie aufwachen sehen und ich möchte in Liebe alt werden!“ Dann fragt sie den Prinzen, ob er sie heiraten möchte – was er natürlich will. Soweit so gut. Diese Aussage könnte sogar als „Bedienung alter Muster“ gewertet werden.

Dem Volk, welches jahrelang unter der Regentschaft der bösen Königin gelitten hat, widmet sie kein Wort. Kein Satz in die Richtung: „Ich möchte, dass es den Menschen in diesem Lande wieder besser geht und wir gemeinsam die schrecklichen Jahre der Regentschaft vergessen können!“ Schade!

Liebe Drehbuchautoren, bitte lasst den Egozentristen in Euch nicht euren Drehbüchern die Oberhand gewinnen und lasst die Gemeinschaft hochleben. Wir werden sie in Zukunft dringender denn je brauchen!

Quellenangaben:

Vergleich der folgenden beiden Schneewitchen-Verfilmungen:

„Schneewitchen“

Fischer Produktion aus dem Jahr 1961, Drehbuch Günther Kaltofen, 59 Minuten zu finden in der ARD/mdr Mediathek unter Märchen

unter folgendem Link:

https://www.mdr.de/video/mdr-videos/filme/video-schneewittchen100.html

Schneewitchen und der Zauber der Zwerge

D, CZ 2019, 90:09 min – mit Tijan Marei, Nadeshda Brennicke, Drehbuch: Max Honert

https://tvheute.at/zdf-mediathek/video/schneewittchen-und-der-zauber-der-zwerge-kids_682712379

Das Beitragsbild stammt von Ultra_Nancy über Pixabay und es wurde dafür gespendet.

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