Beziehungen in Zeiten von WhatsApp

Das das Thema „Beziehungen im Medienzeitalter 4.0“ sehr aktuell ist, zeigt sich auch daran, dass es in den Medien kontinuierlich aufgegriffen wird. Die Redaktion der Süddeutschen Zeitung hat es in der Wochenendausgabe 58 vom 9./10.März als Titelblattgeschichte gewählt.

Unter der Überschrift „Liebe in Zeiten von WhatsApp“ berichtet der Autor Bernhard Heckler in seinem Artikel über seine erste große Liebesbeziehung, die vor drei Jahren endete. Das erste Jahr der insgesamt fünf Jahre dauernden Liebe lebten die beiden bei ihren Eltern zu Hause und zogen dann ausbildungsbedingt in unterschiedliche Städte.  

Rückblickend betrachtet der einst Liebende den gespeicherten WhatsApp-Verlauf mit seiner damaligen Partnerin und stellt schon zu Beginn fest, dass ihm das erste Selfie von dem Typen mit Bart, welches ihn anlächelt, zwar aussieht wie er, ihm aber doch fremd ist.

Er beschreibt das letzte Jahr der Beziehung von Oktober 2016 bis Oktober 2017.  In dieser Zeit sehen sich die Partner nur selten, und es etabliert sich eine virtuelle Beziehung in WhatsApp, die am Ende eine Parallelwelt ist.

Die beiden entwickeln in WhatsApp ihre eigene Sprache, nicht nur typographisch, sondern auch in Bezug auf ihre Intonation, wenn sie sich Sprachnachrichten schicken. Sie gehen gemeinsam zu Bett und frühstücken am nächsten Tag zusammen, indem sie sich ständig Nachrichten schicken. Er feiert, dass es WhatsApp gibt, denn nur deshalb werden Fernbeziehungen für Partner überhaupt denkbar und schreibt: „In WhatsApp entsteht eine Unmittelbarkeit und Direktheit und damit eine Nähe in der Kommunikation, die es vorher noch nie gegeben hat.“

Der Chatverlauf wirkt wie ein gemeinsames Tagebuch mit vielen Bildern, Videos, Sprachnachrichten, Memes und unzähligen Emojis. „SMS-Nachrichten“, so konstatiert er, „sind dagegen so limitiert in den Ausdrucksmöglichkeiten, dass sie sich anfühlen wie moderne Morsezeichen“. Nein, es ist nicht nur ein Tagebuch dieser Zeit, es ist tatsächlich das Zuhause der Liebenden geworden.

Doch der Typ mit Bart fühlt sich nicht wohl in seiner neuen Stadt. Er möchte dieses Unglück aber nicht in sein heiles Zuhause auf WhatsApp tragen und verschweigt seine Gefühle für lange Zeit. Er fragt sich, wie es wohl seiner Partnerin geht und ob sie genauso denkt.

Nachdem er sein Studium abgebrochen hat und wieder bei seinen Eltern wohnt, werden die Nachrichten seltener, aber „es sind immer noch die gleichen Witze“. Sie ist im Gegensatz zu ihm in ihrem neuen Leben angekommen.

Er erkennt, dass WhatsApp kein Ersatz für das tatsächliche Erleben ist und man in den entscheidenden Momenten doch alleine ist. Es bildet sich eine Lücke im Chatverlauf, der eine Lücke zwischen den beiden Liebenden abbildet. Und dann folgen zwei Monate Schweigen.

Plötzlich erhält er die Sprachnachricht einer erwachsenen, reflektierten Frau, die ihm sagt, dass das so nicht weiter geht. Eine männliche Stimme antwortet, die er nicht kennt: Seine eigene. Die Niedlichkeit ist verschwunden, und die beiden nehmen sich als die wahr, die sie tatsächlich jetzt tatsächlich sind.

Sie starten einen letzten Versuch, doch es gelingt ihnen nicht, denn es folgen wertschätzende Nachrichten über die gemeinsame Zeit im Wochenrhythmus in korrekter Typographie ohne schmückendes Beiwerk. Dann hört es auf. Heute schreiben sie sich SMS Nachrichten zum Geburtstag.

Der Artikel ist wirklich lesenswert, denn er beschreibt, was passieren kann, wenn Fernbeziehungspartner ihre Kommunikation nur in soziale Medien verlegen und dort eine Parallelwelt aufbauen. In dem Buch erwartet euch in Kapitel 4 sehr Interessantes und wirklich Wissenswertes über unsere Kommunikationsmöglichkeiten und was passiert, wenn wir uns in diesen so wichtigen Möglichkeiten selbst beschränken.

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